Evangelischer Arbeitskreis Sachsen-Anhalt

Besuch in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Blankenburg/Harz


Dr. Wolf-Reiner Krause, Foto: Sandra Reulecke/VolksstimmeDr. Wolf-Reiner Krause, Foto: Sandra Reulecke/Volksstimme

Auf Initiative des Vorsitzenden des evangelischen Arbeitskreises der CDU Sachsen-Anhalt, Herrn Jürgen Scharf, fand 2019 ein Arbeitsbesuch des fast vollständigen Vorstandes in Blankenburg/Harz statt. Empfangen wurde die Gruppe von Herrn CA Dr. Christian Algermissen, der die Klinik konzeptionell und anhand der Räumlichkeiten einer Station ausführlich darstellte.  

Der Referent, der in Blankenburg geboren wurde und aufwuchs, möchte, ohne einer ausführlichen psychiatrie-historischen Arbeit von dem jungen Blankenburger Gymnasiallehrer Herrn Christoph Rohrbach, vorzugreifen, über einige historische Aspekte berichten. Der klimatisch geschützte Nordharzrand wird um die ehemalige Kurstadt herum vom Kleinklima her dem von Baden-Baden gleichgesetzt und unterscheidet sich grundsätzlich von dem benachbarten rauen Harzklima.  

Dies war vermutlich mit ein Anlass, dass der spätere Sanitätsrat Dr. Otto Müller 1865 seine zunächst in Helmstedt gegründete erste offene Anstalt für Psychiatrie nach Blankenburg verlegte. Zuvor hielt er sich längere Zeit in Russland auf, wo er auch die russisch-zaristische Gesellschaft für Psychiatrie in St. Petersburg gründete. In England gesammelte Eindrücke waren Anregung für den offenen Charakter seiner Einrichtung. Bald erhielt er Zulauf aus dem gesamten Reich und er konnte deutsch sprechende Patienten aus den Nachbarländern begrüßen konnte.

 Wilhelminische Zeit  

In den Gründerjahren war Blankenburg zu einer braunschweigischen Residenzstadt (seinerzeit nicht nur Kreisstadt, sondern auf dem großen und später kleinen Schloss weilten die Braunschweiger Herzöge häufig für längere Zeit) geworden. Es kam zur weiteren Ansiedlung von Nervensanatorien und zur Entstehung eines großen Villengürtels, indem sich vor allem hohe Militärs im Ruhestand und begüterte Industrielle ansiedelten.

 In dem vorn bereits erwähnten Sanatorium Dr. Müller wurden vornehmlich wohlsituierte Patienten betreut, während aus den ärmeren Schichten z. B. schizophren Erkrankte keinerlei ärztliche Zuwendung fanden oder in Ausnahmefällen in weitabgelegenen braunschweigischen Königslutter behandelt wurden. Kurzzeitig arbeitete auch der Nervenarzt Dr. Gnauck in der Klinik, berühmter wurde seine geschiedene Ehefrau, die katholische Frauenrechtlerin Elisabeth Gnauck-Kühne.

 Weimarer Republik

 Nach den sozialen Unruhen Anfang der 20er Jahre verlegte die Berliner Psychiater-Dynastie um Bernhard Heinrich Laehr ihre klinischen Unternehmungen in den Harz. Hier konnte man erstmalig von einer sozialen Psychiatrie sprechen, da nunmehr auch deutlich ärmere Schichten psychiatrisch versorgt wurden. Die meisten ursprünglich ebenfalls prunkvollen Kliniken gingen in Konkurs.  

Nach 1926 pachtete Dr. Karl Strünckmann die Villen am Thiepark. Er betrieb nunmehr das Sanatorium geschäftlich wieder äußerst erfolgreich, war besonders aktiv in der Anwendung der Hypnosemethode nach Emile Coué und wies in seinem Werbeprospekt darauf hin, dass er das erste ärztlich geleitete Sanatorium von Deutschland führe, das diese Methode anwende. Er scheint recht akzentuiert gewesen zu sein, so konvertierte er zum Buddhismus, nannte sich später Sozialist und „roter Reaktionär und christlicher Revolutionär“, zeitweilig sympathisierte er mit dem Nationalsozialismus. Er scharrte naturheilkundlich orientierte ärztliche Kollegen um sich und führte „die Biologischen Wochen“ durch, die von den damaligen Überwachungsorganen argwöhnisch beobachtet wurden. 1936 verlängerte er seinen hiesigen Pachtvertrag nicht, sondern kaufte im benachbarten Bad Harzburg ein größeres Hotel, was er zum Privat-Sanatorium umbauen ließ und konnte dieses auch nach Ende des 2. Weltkrieges nun unter Verbleib in der britischen Zone erfolgreich weiterführen.  

Nachkriegszeit und DDR

 Am 20.04.1945 hielt in den Vormittagsstunden der ärztliche Besitzer der Klinik eine Art Gedenkgottesdienst „zum Führer-Geburtstag“. Die Stadt war bis in die Mittagsstunden nicht zur kampflosen Übergabe an die näher rückenden Amerikaner bereit, und so wurde durch Artilleriebeschuss und Bombardierung die zentrale Innenstadt zerstört. Mit den abrückenden Engländern und Übergabe von 2/3 des braunschweigischen Landkreises an die Rote Armee wurde das große Schloss gerettet. Der Herzog mit Familie verließ die Stadt, welche dann mit Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten überfüllt war. Aufgrund der schlechten Versorgungslage und auf Anweisung der neuen sowjetischen Besatzungsmacht wurden die Räumlichkeiten der Klinik nunmehr für Tuberkulosekranke und zunehmend für Kinder benutzt.

 Nachdem sich die Lebensmittelversorgung in den 50er Jahren auch in der damaligen DDR verbesserte, konnte die Tuberkulose als weitverbreitete Volksseuche erfolgreich eingedämmt werden. Es wurden Krankenhausbetten frei. Die Blankenburger Nervenärztin Frau Dr. Friederike Pusch wurde beruflich tätig. Sie war es, die als erste eine Abteilung für Neurologie und Psychiatrie im damaligen Bezirk Magdeburg im Rahmen eines Allgemeinkrankenhauses in Blankenburg aufbaute. Hier war sie bis ins Rentenalter hinein auch poliklinisch tätig. Erst nach der Wiedervereinigung wurde bekannt, dass Frau P. aktiv an der Kindereuthanasie in Brandenburg-Görden beteiligt war. Es ist bis heute ungeklärt, warum gegen sie nur sehr oberflächlich ermittelt wurde und sie als Rentnerin völlig unbehelligt nach Westberlin ausreisen durfte. An der Gedenkstätte für Euthanasie-Opfer in der Berliner Tiergartenstraße 4 wird auf sie als Täterin hingewiesen.

 Beginnend mit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts kann der Referent schon aus eigenen studentischem und ärztlichem Erleben berichten. Die damalige Abteilung für Neurologie und Psychiatrie war nun mit für die Versorgung der Kreise Halberstadt und Wernigerode zuständig. Die Schwierigkeiten waren z. B. die Belegung eines 5-Bett-Zimmers, fachlich gemischt. So kam es vor, dass neben einer schwer an Multipler Sklerose erkranken eine manische Patientin für Unruhe sorgte.

 Entsprechend der Rodewischer Thesen der DDR-Psychiatrie aus dem Jahre 1963 die ähnlichen Forderungen, wie erst später die Bundestags-Enquete forderte, ging es immer wieder um die gemeindenahe Psychiatrie. Seinerzeit mussten noch einige schwerkranke neurologisch-psychiatrische Patienten nach Magdeburg und in das Bezirkskrankenhaus Haldensleben verlegt werden.

 In positiver Erinnerung hat der Referent aus dieser Zeit die Übernahme der ausgelagerten Arbeitstherapie als Modell aus der Universitätsklinik Halle. Unseren Patienten wurde es ermöglicht, auf ihrem angestammten Arbeitsplatz zu arbeiten.

 In den 80er Jahren fanden intensive Forschungen im Bereich Biofeedback unter Federführung des Referenten mit Geräteentwicklung statt.

 Nach unterschiedlichen Erfahrungen in Niedersachen und Bayern wurde der Berichterstatter 1992 zum Chefarzt der damaligen Klinik für Psychiatrie berufen. Zwischenzeitlich profilierte sich die Neurologie zunehmend durch die entsprechende Weiterbildungsordnung zu einer eigenständigen Klinikabteilung. 1994 konnte die Vollversorgung (d. h. auch die psychiatrisch Schwerkranken) in Blankenburg aus den Landkreisen Halberstadt und Wernigerode angeboten werden. Es kam zu ständigen Um- und Ausbauten sowie zur Gründung einer ersten Tagesklinik in einer Gründerstilvilla, an deren konzeptioneller Entwicklung Marion Krause beteiligt war.

 In dieser Zeit wurde kräftig in das gesamte Krankenhaus Blankenburg investiert. Es gab große Pläne für einen Neubau und die Konzentration am Standort Thiepark für die weiteren Fachgebiete Innere Medizin, Gynäkologie, Geburtshilfe, Chirurgie, Orthopädie, Intensivmedizin. Gleichzeitig kam es zum Aufbau einer eigenständigen Ergotherapie. Jährlich mussten wir darauf hinweisen, dass wir, die Psychiatrie, mehr Betten benötigen, hatten wir doch nun auch zunehmend mit illegalen Drogen, aber vor allem auch mit älteren Patienten zu tun. Auf das Gebiet der Gerontopsychiatrie haben wir uns frühzeitig konzentriert. In diesem Zusammenhang wurde auch im Rahmen eines spezialisierten geronto-psychiatrischen Modellprojektes auf dem Klinikgelände ein Pflegeheim „Schlossblick“ in enger Verzahnung zur Klinik geschaffen. Nach grundlegender Änderung der sachsen-anhaltinischen Krankenhauspolitik wurden am Standort Blankenburg immer wieder Abteilungen geschlossen. Nur durch die Fusion mit dem Wernigeröder Klinikum zu einem gemeinsamen Harzklinikum war es möglich, wiederum unter der architektonischen Leitung des Büros „Gardzella und Sohn“, am historischen Standort Thiestraße einen Erweiterungsbau für die Psychiatrie zu realisieren.

 Der vom Berichterstatter gegründete und geführte psychosoziale Hilfsverein „Lebenskraft“ betreut ehemalige Patienten in diversen Selbsthilfegruppen, aber auch im ambulant betreuten Wohnen. Ein jährlicher Höhepunkt ist das gemeinsame Vereins- und Klinikfest.

Zur Absicherung der ambulanten Weiterbetreuung wurde sowohl eine Psychiatrische Institutsambulanz als auch eine neurologisch/psychiatrische Sprechstunde innerhalb des Medizinischen Zentrums Harz aufgebaut.

 Nunmehr seit Jahrzehnten finden Weiterbildungsveranstaltungen im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für ärztliche Hypnose und Autogenes Training (DGÄHAT) statt.

 Gemeinsam mit Herrn OA Dr. Stephan Pecher wurde das Institut für Psychiatrische Begutachtung gegründet. Hier finden sowohl Begutachtungen im Rahmen von Strafrechtsachen und im Rentenbereich statt. Darüber hinaus hat sich die jährliche Forensik-Tagung für Juristen, Mediziner und Psychologen sehr bewährt.

 In unserer komplexen Therapie spielen neben der medikamentösen, Psychotherapie Einzel- und Gruppen, Autogenes Training, Ergotherapie sowie Physiotherapie und Sport eine große Rolle. Um die letzteren wetterunabhängig durchzuführen, erhielten wir eine neu erbaute 1-Feld Turnhalle.

 Im Rahmen der weiteren Fusion mit dem Klinikum Dorothea-Christiane Erxleben Quedlinburg entstand das nunmehr größte kommunale Krankenhausunternehmen in Sachsen-Anhalt. Dabei lag die Quedlinburger Psychiatrische Klinik in Ballenstedt am äußersten Rand des neugegründeten Harzkreises, Blankenburg dagegen ist der geographische Mittelpunkt (jeweils mit gleichen Entfernungen zur Kreisstadt Halberstadt und den ehemaligen Kreisstädten Wernigerode und Quedlinburg an der Autobahn sowie Bahnverbindung gelegen). Eine Fusion der zwei Kliniken an diesem zentralen Standort war folgerichtig und verlief unter Leitung des Ballenstedter Chefarztes Dr. M. Kurtz erfolgreich. Die fusionierte Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Blankenburg verfügt nun über 154 stationäre Planbetten und gehört damit zu den größeren regionalen Versorgungskliniken in Sachsen-Anhalt. Die Gesamtklinik ist in vier offene, zwei geschlossen geführte und eine Station mit sowohl geschlossen geführten als auch offenen Stationsbereich unterteilt. Die Stationen sind auf verschiedene Schwerpunkte, u.a. Allgemeinpsychiatrie, Akutpsychiatrie, Psychotherapie/spezielle Psychotherapie, Suchtmedizin und wie bereits erwähnt Gerontopsychiatrie und -psychotherapie ausgerichtet. Insgesamt sind 45 Behandlungsplätze zur Behandlung von akutpsychiatrischen Patienten mit Unterbringungsbeschluss nach §12 PsychKG LSA bzw. §1906 BGB geeignet. Als weiterer Betriebsteil befindet sich am Standort Blankenburg eine Psychiatrische Institutsambulanz mit eigenen Behandlungsräumen. Zusätzlich werden zwei psychiatrisch-psychotherapeutische Tageskliniken in Blankenburg und Quedlinburg mit 25 bzw. 20 teilstationären Behandlungsplätzen betrieben. Die Klinik ist als ärztliche Weiterbildungsstätte und akademische Lehrkrankenhaus der Otto-von Guericke-Universität Magdeburg anerkannt. Als Lehrkrankenhaus werden alle wissenschaftlich anerkannten Therapieverfahren (Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie und Systemische Therapie), Therapiemethoden und -techniken (u.a. Autogenes Training, hypnotherapeutische Interventionen) angeboten. Spezielle Psychotherapiekonzepte bestehen für affektive und schizophrene Störungen. Die Klinik bietet ebenso Hirnstimulationsverfahren wie Elektrokonvulsionstherapie und Vagusnervstimulation bei bestimmten psychischen Erkrankungen an. Durch die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit somatischen Fachgebieten am Harzklinikum bestehen vorteilhafte Möglichkeiten der erweiterten Differentialdiagnostik und Behandlung von psychosomatischen Störungen und insbesondere Somatisierungssyndromen.

 Für die Stadt Blankenburg war nach dem Wegfall vieler Arbeitsplätze in den Großbetrieben, der Ausbau der Psychiatrie mit der Neuschaffung von inzwischen auch gut bezahlten Arbeitsplätzen, geradezu ein Segen. Psychiatrische Diagnostik und Therapie erfolgt im Team. Hier wird es dem neuen Chefarzt als engagierte Fremdberufung mit braunschweigischen Wurzeln zeitnah gelingen, nunmehr eine der größten Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Sachsen-Anhalt blühend weiterzuentwickeln.

 Dr. W.-R. Krause, CA a. D.

Blankenburg/Harz
Mitglied im EAK-LV


Dieser Artikel ist im EAK- Rundbrief zu Pfingsten 2020 erschienen.