Der Kreisverband Salzwedel des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. hat zum Volkstrauertag am 18. November 2012 eine Gedenkveranstaltung auf dem Altstädter Friedhof St. Marien in Salzwedel durchgeführt. Dort hat der EAK-Landesvorsitzende Jürgen Scharf folgende Rede gehalten:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie sind heute der Einladung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräb
erfürsorge gefolgt, um der Gefallen der Kriege zu gedenken.
Gegründet wurde der Volksbund im Jahre 1919 aus der Not heraus, sich um die Gräber der Gefallenen des Weltkrieges zu kümmern. Er war eine vom ganzen Volk getragene Bürgerinitiative. Jedermann sprach damals vom Weltkrieg und dieses Wort war eindeutig. Schon zwei Jahrzehnte später wurde von deutschem Boden aus ein weiterer Krieg entfacht, der zum zweiten Weltkrieg wurde. Von da ab waren die Historiker gezwungen, die Anzahl der Weltkriege zu zählen. In den letzten Wochen wurden wir daran erinnert, wie knapp die Welt vor 60 Jahren, während der Kuba-Krise, einem dritten Weltkrieg entkommen ist. Ich selber habe zu DDR-Zeiten meinen Grundwehrdienst bei der NVA geleistet und hatte nicht nur in dieser Zeit sondern in der gesamten Zeit des kalten Krieges, die ich mit wachem Bewusstsein erlebt habe – ich bin Jahrgang 52 – Angst vor einem Krieg in Mitteleuropa. So gehört für mich auch die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands zu den Wundern der neueren Geschichte.
Frieden ist nicht selbstverständlich. Dass wir seit vielen, vielen Jahren die längste Friedensperiode in Mitteleuropa erleben können, ist eine große Gnade. Sie ist aber auch Verdienst verantwortlich handelnder Menschen, jeder auf seinem Platz, jeder in seiner Position.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie uns als noch jüngere Politiker Anfang der 90iger Jahre der damalige Kanzler Helmut Kohl immer wieder einschärfte, wie wichtig das Zusammenwachsen der Völker und Staaten in der Europäischen Union ist, wie wichtig speziell die deutsch-französische Freundschaft ist. Die Staaten, die Volkswirtschaften der Staaten, ja auch ihre Währungen müssen so eng miteinander verzahnt werde, dass auch in Krisenzeiten kein Volk mehr verführt werden kann, gegen ein anderes aufzustehen.
Die Aussöhnung in Europa nach dem zweiten Weltkrieg ist untrennbar mit dem deutsch-französischen Jugendwerk verbunden, ist untrennbar mit der Jugendarbeit des Volksbundes verbunden. Versöhnungsarbeit ist ehrliche Erinnerung, um einen klaren Blick nach vorne zu erlangen.
Deutschland ist heute nur noch von Freunden „umzingelt“. Damit dieses so bleibt, müssen wir Europa stärken. Jedes Gerede, dass man einen Teil Europas, wenn er schwach ist oder wenn er schwach geworden ist, aus der Währungsunion oder aus der EU herausschmeißen könnte oder dürfte, ist unverantwortlich. Der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker hat anlässlich der Verleihung des Karlspreises an ihn sinngemäß gesagt: „ Zwei Wochen Krieg in Mitteleuropa sind viel teurer, als uns die EU in ihrer ganzen bisherigen Geschichte gekostet hat.“ Und während der Gedenkstunde zum Volkstrauertag hat Juncker im Jahr 2008 im Bundestag appelliert: „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen! Nirgendwo besser, nirgendwo eindringlicher, nirgendwo bewegender ist zu spüren, was das europäische Gegeneinander an Schlimmstem bewirken kann. Das Nicht-Zusammenleben-Wollen und das Nicht-Zusammenleben-Können, haben im 20. Jahrhundert 80 Millionen Menschen das Leben gekostet. Jede Stunde des Zweiten Weltkrieges hat 1045 Tote gebracht."
Am Volkstrauertag gedenken wir diesen Gefallenen der Weltkriege. Das friedliche, geeinte Deutschland kann aber auf Dauer nicht in Frieden leben, wenn es nicht bereit ist, auch Verantwortung für den Erhalt oder die Wiederherstellung des Friedens in anderen Teilen der Welt zu übernehmen. Freilich dürfen wir uns dabei auch nicht „Übernehmen“. Aber der Einsatz der Bundeswehr zum Beispiel im Kosovo, vor Somalia und besonders in Afghanistan zeigt, dass wir auch heute der Gefallenen dieser Kriege und Einsätze gedenken müssen.
Der Volksbund leistet mit seinen mehr als 9000 ehrenamtlichen und 560 hauptamtlichen Mitarbeitern eine unverzichtbare Friedens- und Versöhnungsarbeit. Besonders erfreulich ist es, dass er über seine Jugendarbeit und seine internationalen Jugendcamps Begegnung und Erinnerung zwischen jungen Menschen in Europa ermöglicht. Wohl jeder Jugendliche, der so eine Begegnung erlebt hat, kehrt als Botschafter einer Welt, in der Versöhnung möglich ist, in seine Heimat zurück.
Wir gedenken hier und heute auch stellvertretend mit für diejenigen, die leichtfertig meinen, Frieden in Europa sei etwas so Selbstverständliches, dass es nicht dieser öffentlichen Erinnerungsarbeit an Gedenktagen und öffentlichen Gedenkorten bedarf.
Das Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt geht über das Gedenken der Gefallenen der Kriege hinaus. Hier, in der Gedenkstätte St. Marien in Salzwedel liegen 292 Kriegstote des 1. Und des 2. Weltkrieges. In Salzwedel gehören zu den Orten des Gedenkens an alle Opfer von Krieg und Gewalt aus gutem Grund
- der jüdische Friedhof
- die Gräber der russischen Soldaten auf dem Neustädter Friedhof
- die Gräber ausländischer Zwangsarbeiter auf dem Neustädter Friedhof
- das Grabmal für deutsche Soldaten auf dem Neustädter Friedhof
- die Gräber an der Ritzer Brücke und
- viele Einzelgräber in den Gemeinden .
Lassen Sie uns auch diese Opfer in unser Gedenken mit hineinnehmen. Sie mahnen uns, bei allen Problemen, die der politischer Alltag auch bringt, die wichtigste aller Aufgaben nicht zu vergessen: Die Wahrung und die Sicherung des Friedens in unserem Land und in Europa!
Das Gedenken an alle Opfer von Krieg und Gewalt ist deshalb ehrliche Erinnerung, um einen klaren Blick nach vorne zu bekommen. Es ist Zukunftssicherung.
Ich danke Ihnen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Jürgen Scharf